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Interdisziplinäres Handbuch: „Der Praktiker unterteilt den Patienten nicht in Subdisziplinen“
(03.02.2015) Systematisch, praxisnah und umfassend: Das neu erschienene „Praxishandbuch Altersmedizin“ präsentiert den aktuellen Stand von Forschung und Behandlung in Geriatrie, Gerontologie und Gerontopsychiatrie. Im Interview spricht der federführende Herausgeber, Prof. Dr. Johannes Pantel aus Frankfurt am Main, über das Konzept des neuartigen, interdisziplinären Fachbuchs.
Professor Pantel, mit welcher Zielsetzung haben Sie das „Praxishandbuch Altersmedizin“ konzipiert?
Das Buch richtet sich an alle praktisch Tätigen im Bereich Altersmedizin, vom Geriater über den Hausarzt bis hin zum Psychiater und Neurologen – aber auch Laien können sich ganz gezielt über den aktuellen Praxisstand informieren. In diesem Bereich haben wir eine Lücke gesehen. Es gibt zwar eine ganze Reihe von hervorragenden Büchern, aber die haben meistens einen engeren Schwerpunkt. Es gab bisher kein Buch, das die drei Disziplinen Geriatrie, Gerontopsychiatrie und Gerontologie integriert hat. Wir gehen aber davon aus, dass viele Fragestellungen interdisziplinär angegangen werden müssen. Der Praktiker unterteilt den Patienten, den er vor sich sitzen hat, ja nicht in Subdisziplinen und Einzelsymptome, sondern entscheidet sich für einen ganzheitlichen Ansatz. Deswegen haben wir Syndrome in den Mittelpunkt gestellt, bei denen verschiedene Krankheitsbilder ineinander greifen, also nicht nur medizinische, sondern auch soziale oder psychologische Fragestellungen ganz wichtig sind. Das Herzstück des Buches beinhaltet daher die evidenzbasierte Darstellung dieser Syndrome.
Das Buch stellt die Verknüpfung von Geriatrie, Gerontopsychiatrie und Gerontologie in den Vordergrund. Warum ist dies so wichtig?
Wie schon gesagt: Die Altersmedizin ist eine ganzheitliche Medizin. Gerade in der Altersmedizin haben Krankheiten oft Auswirkungen auf andere Bereiche: Eine Depression kann zu Antriebsverlust führen, dieser wiederum führt zu Mangelernährung, was Muskelschwäche (Sarkopenie) und einen Sturz begünstigt und somit Frakturen verursacht. Ein zweites Beispiel: Eine Herzschwäche kann Auswirkungen auf die Psyche haben, indem sie zu Apathie und Inaktivität führt, was wiederum soziale Isolation begünstigen kann, die wiederum negativ rückwirkt auf die körperliche Symptomatik. Es ist eine Art Dominoeffekt mit Konsequenzen für Prävention, Behandlung und Rehabilitation. Da ist man nur wirklich erfolgreich, wenn man diese drei Ebenen gleichzeitig im Blick hat und die gegenseitigen Auswirkungen berücksichtigt.
Wie weit gelingt die Verschränkung dieser Fachgebiete bereits jetzt im Alltag?
In den multidisziplinären Teams in der Geriatrie gelingt das oft schon sehr gut. Weniger aber im Bereich zwischen den Hauptdisziplinen. In den vergangenen Jahren gab es zwar schon eine erfreuliche, gegenseitige Annäherung und Öffnung, aber mehr auf der persönlichen, nicht auf der institutionellen Ebene, dort existieren die Fächer immer noch sehr stark nebeneinander her. Für die adäquate Berücksichtigung z.B einer Demenz oder Depression bei einem geriatrischen Patienten reicht ein kurzes, einmaliges gerontopsychiatrisches Konzil eben häufig doch nicht aus. Hier wäre eine institutionell fest verankerte engere Zusammenarbeit, z.B. im Rahmen von interdisziplinären Stationen wünschenswert. Da muss noch einiges geschehen.
In den Querschnittsthemen widmen Sie sich auch Fragen, die über medizinische Aspekte hinausgehen, und ganz praktische Empfehlungen sind wie zum Beispiel die Leitung eines Teams oder die Etablierung von Versorgungsstrukturen. Gibt es da noch so große Defizite?
Das ist ganz unterschiedlich. Die Organisation eines interdisziplinären Behandlungsteams ist für einen Geriater oder Gerontopsychiater natürlich täglich Brot. Aber der Gerontologe steckt nicht so drin in der Thematik. Umgekehrt gibt es ein Kapitel über neue Wohnformen, das ist einem Gerontologen ganz geläufig, aber für den Geriater ein Randgebiet. Oder wir haben jeweils Kapitel über rechtliche und ethische Fragen. Das betrifft Dinge wie Einwilligungsfähigkeit, Patientenverfügungen und Zwangsbehandlungen, deren adäquate Handhabung in der Gerontopsychiatrie zur Routine gehören, aber dem internistisch geprägten Geriater primär nicht so vertraut sind. Wir haben das Buch daher ganz bewusst so gestaltet, dass Querbezüge grafisch hervorgehoben sind, damit man an der jeweiligen Stelle des Textes den Sprung ins Nebenkapitel machen kann, um dort die Thematik zu vertiefen. Dieses Verknüpfen der Bezüge war uns ein großes Anliegen. Das ist in der Form noch in keinem altersmedizinischen Nachschlagewerk gemacht worden.
Es gibt auch Kapitel über die Unterschiede in der „kulturellen Vorstellung von Altern“ und über „Spiritualität“. Warum haben Sie sich entschieden, auch solche Themen in das „Praxishandbuch Altersmedizin“ aufzunehmen?
Der internistische Geriater hat beinah täglich mit Sterben und dem Tod zu tun. Da hilft es, eine gewisse Grundbildung zu haben und zu wissen, dass Altern, Tod und Trauer kulturell ganz unterschiedlich betrachtet werden können. Es geht um das Sensibilisieren für die kulturellen und sozialwissenschaftlichen Dimensionen dieser Handlungsfelder. Im Gegensatz zu Gerontologen lernen Mediziner das nicht im Studium, das ist nicht Teil des regulären Curriculums. Wir denken aber, dass diese Themen das praktische Handeln im Berufalltag wesentlich informieren und bereichern können.
„Praxishandbuch Altersmedizin. Geriatrie – Gerontopsychiatrie - Gerontologie“
Herausgeber: Johannes Pantel, Johannes Schröder, Cornelius Bollheimer, Cornel Sieber und Andreas Kruse
Verlag: W. Kohlhammer
799 Seiten
ISBN: 978-3-17-021756-0
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