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PM: Wenn Opa auf den Maulwurfshügel springt: Smartphone-Apps und Spielekonsolen bringen der Altersmedizin große Vorteile
(18.06.2015) Ob Fitnessarmband, Lauf-App fürs Handy oder Exergame für die Spielkonsole – wer Sport treibt, für den sind Hightech-Hilfsmittel längst selbstverständlich, um alle Körperdaten aufzuzeichnen. Anders in der Altersmedizin, der Geriatrie: Das gesundheitliche Assessment betagter Patienten wird noch immer lieber mit Stift, Zettel und Stoppuhr vorgenommen, anstatt Computerprogramme zu nutzen. Aber die Implementierung der neuen Technik in den Klinikalltag und die Therapie bringt für Ärzte wie Patienten große Vorteile, zeigt Professor Dr. Clemens Becker, Chefarzt der Klinik für Geriatrische Rehabilitation am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart auf. Er versucht Ärzten wie Patienten die Scheu vor neuer Technik zu nehmen.
Mehr als 41 Millionen Deutsche besitzen laut Statistik ein Smartphone. Gut jeder Dritte nutzt es, um E-Mails zu checken, zu chatten, in sozialen Netzwerken zu surfen – oder auch das eigene Sporttraining zu erfassen. Apps wie „Runtastic“ oder „Fitbit“ liegen im Trend. 73 Prozent der Freizeitsportler zwischen 14 und 29 Jahren setzen auf digitale Datenerfassung, wie eine Umfrage des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) ergab.
Aber auch am anderen Ende des Altersspektrums wächst das Interesse: Speziell angepasste Apps können im Klinikalltag helfen, den Gesundheitszustand betagter Patienten zu dokumentieren. „In der Geriatrie als sprech- und personenzentriertes Fach, mit Patienten die meist über 80 Jahre alt sind, wird meist noch auf die herkömmliche Methode gesetzt, also auf Stift, Zettel und Stoppuhr. Dabei ließe sich all dies ohne weiteres auf dem Smartphone machen – und zwar sehr viel präziser“, sagt Prof. Clemens Becker. Als Beispiel nennt der Chefarzt aus Stuttgart den Timed-and-Go-Test: Hier können Aufstehbewegung, Schritte und Drehungen sehr viel exakter gemessen werden. „Mit einem Smartphone erhält man ein Vielfaches an technisch relevanten Informationen als in einem herkömmlichen geriatrischen Assessment.“ Kollegen und Patienten müssen sich nur trauen es auszuprobieren.
Kosten sind erheblich gesunken
Trotzdem hält sich der Enthusiasmus unter Geriatern bislang in Grenzen. „Das wirft die grundsätzliche Frage auf: Kann es sich die Altersmedizin leisten, sich von diesen neuen Entwicklungen abzukoppeln oder sie sogar zu ignorieren?“, überlegt Becker. Ein Argument gegen die neue Technik war bislang der Kostenfaktor; noch bis vor kurzer Zeit war dieser sehr hoch. Doch dank der wachsenden Nachfrage im Verbrauchersektor haben Unternehmen wie Apple, Google und Co. die Entwicklung vorangetrieben. Mithilfe der sogenannten Wearable Technology können Patienten auch selbstständig ihre Gesundheitsdaten sammeln und auswerten – was viele bereits heute in Anspruch nehmen.
„Hier gibt es sehr dynamische Entwicklungen“, warnt und schwärmt Becker zugleich, der auch Lehrbeauftragter für Sport- und Bewegungswissenschaften an der Universität Stuttgart ist. Allerdings sind diese kommerziellen Gesundheits-Apps nur eingeschränkt nutzbar für geriatrische Patienten. „Das Gangbild von älteren Menschen ist oft etwas schlürfend oder kleinschrittig, so dass es von den meisten der Anwendungen nicht akkurat erfasst wird“, sagt Becker. „Aber so wie die Entwicklung voranschreitet, wird sich das in zwei, drei Jahren ändern.“
Senioren mit Spielekonsole = Therapie mit Spaßfaktor
In der Klinik für Geriatrische Rehabilitation am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart hat die neue Zeit bereits Einzug gehalten: Seit knapp zwei Jahren nutzen Becker und sein Team speziell angepasste medizinische Apps und Computerprogramme, die gemeinsam mit Technikern und Programmierern der Universitäten Bologna und Lausanne im Rahmen eines EU-Projekts entwickelt wurden.
Doch nicht nur im Assessment, auch in der Physio- und Ergotherapie betagter Patienten kommen digitale Hilfsmittel zum Einsatz. Klassische Übungen sind oft repetitiv und dadurch eintönig. Computerprogramme können dagegen für Abwechslung und motivationale Anreize sorgen. „Dann vergessen die Leute leicht, wie oft und wie lange sie eine Übung schon machen, sie „tauchen“ in diese Trainingsspiele ein und haben Spaß.“
Maulwurfjagd, um die Balance zu schulen
Ein Beispiel: Balancetraining durch Exergames, ein Begriff der sich aus den Worten „Exercising“ (Englisch für: Sport treiben) und „Gaming“ (Spielen) zusammensetzt. So wird in den Niederlanden in der Geriatrie das sogenannte Maulwurfspiel eingesetzt, bei dem Patienten auf virtuelle Erdhügel treten müssen, um den Rasen vor der Zerstörung durch die Tunnelgraber zu bewahren. Blumen oder Marienkäfer dürfen dabei nicht getroffen werden. Dies erfordert Geschick, Balance, Augenmaß und schnelle Reaktionen, wodurch nicht nur der Gleichgewichtssinn, sondern auch kognitive Fähigkeiten geschult werden. Besonders schwache Patienten werden dabei mit einem Gurtsystem abgesichert, um Stürze zu verhindern. Denn im Gegensatz zu einem kommerziellen Wii- oder Playstation-Spiel muss hier das gesamte Körpergewicht verlagert werden, damit das System die Aufgabe als erfüllt erkennt. Aber der Ehrgeiz der betagten Rentner ist hoch, dem Maulwurf ein Schnippchen zu schlagen... Sie erzielen deutlich bessere Trainingserfolge, als ohne Computerspiel in simplen Trainingseinheiten – und haben dabei deutlich mehr Spaß.
Prof. Clemens Becker ist begeistert: „Diese Apps decken viele Bereiche gleichzeitig ab, sparen Zeit und Geld. Daraus ziehe ich die Lehre für die Geriatrie insgesamt: Es ist Zeit, dass wir Ärzte uns der digitalen Entwicklung anpassen und die Vorteile, die sich daraus ergeben, in die Disziplin integrieren.“
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„Vom Smartphone-Assessment zum Exergame – Wo steht und bleibt die Geriatrie in der gerontotechnologischen Revolution?“ wird ebenfalls ein viel diskutiertes Thema auf dem Jahreskongress der DGG, dem Geriatriekongress in Frankfurt 2015, sein.
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