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PM: Professor Cornel Sieber im Interview vor dem DGIM-Kongress: „Es braucht den Internisten mit geriatrischer Schulung“
(11.04.2018) In wenigen Tagen geht es los und die Teilnahme für Geriater lohnt sich besonders: Am 14. April 2018 startet die 124. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) im Mannheimer Congress Center Rosengarten. Vier Tage lang werden rund 8.000 Internisten unter dem Leitthema „Innere Medizin – Medizin für den ganzen Menschen“ intensiv über ihr Fachgebiet diskutieren und sich miteinander austauschen. Besonders attraktiv ist die bedeutende Veranstaltung in diesem Jahr für Geriater: Dafür sorgt Kongresspräsident Professor Cornel Sieber (Foto), Chefarzt der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Geriatrie am Krankenhaus Barmherzige Brüder in Regensburg sowie Direktor des Instituts für Biomedizin des Alterns der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), der zudem als erster Geriater überhaupt den Vorsitz der DGIM innehat. Wir sprachen mit dem engagierten Altersmediziner über die Situation und Entwicklung seines Fachgebietes in Deutschland, den geriatrischen Schwerpunkt beim Kongress und warum es lohnt, sich dort – auch noch kurzfristig – anzumelden.
Herr Professor Sieber, der diesjährige DGIM-Kongress steht unter dem Leitmotiv „Innere Medizin – Medizin für den ganzen Menschen“. Was ist genau damit gemeint und wie wird dieses Motto vor Ort gelebt?
Das Motto habe ich gewählt, weil es von Professor Walter Siegenthaler stammt. Er war in meiner Heimat Schweiz eine Koryphäe der Inneren Medizin und ich habe von seinen Schülern gelernt. Das Motto verdeutlicht, dass uns trotz erfolgreicher Spezialisierungen innerhalb der Inneren Medizin der holistische Zugang zum Patienten leiten soll. Das drückt sich in Mannheim unter anderem in einem überaus vielfältigen Kongressprogramm aus, das auf Interdisziplinarität setzt.
Was haben Sie sich als Geriater in Ihrer Funktion als Kongresspräsident vorgenommen?
Im Studium lernen wir Mediziner eine defizitorientierte Medizin: Irgendetwas funktioniert in einem Organsystem nicht und dann versuchen wir, es zu therapieren. Bei (Hoch-)Betagten muss man dagegen schauen, was es noch für Ressourcen gibt, die gehoben werden können. Das erfordert eben jenen holistischen Ansatz, der über die Organgrenzen hinweg reicht. Es geht auch um den Erhalt der Funktionalität und damit der Selbstständigkeit. Deswegen muss für diese Patientengruppe die Einteilung der Krankheiten nach International Classification of Diseases, kurz ICD, zukünftig noch stärker durch die International Classification of Functioning, Disability and Health, kurz ICF, ergänzt werden. Um das in der Diagnostik und Therapie umzusetzen, gibt es Spezifika in der Altersmedizin. Diese Spezifika wurden bei der Programmplanung des DGIM-Kongresses stark berücksichtigt.
Wie sehen die Schwerpunkte des Kongressprogramms denn aus? Und welche sind besonders spannend für Geriater?
Es gibt insgesamt zehn Schwerpunktthemen. Davon sind im Grunde alle auch spannend für Geriater. „Multimorbidität und Polypharmazie“, „Rehabilitation als Bindeglied zu sozialer Teilhabe“ oder das Thema „Interdisziplinarität“ bei chronischen Erkrankungen etwa. Auch der Schwerpunkt „Versorgungsstrukturen und -forschung“ setzt sich mit geriatrischen Themen auseinander. Wichtig ist zum Beispiel auch das Thema „Das Gehirn: Schaltstelle zwischen Neurologie und Innerer Medizin“ – wenn man sich allein vor Augen führt, dass etwa 30 Prozent der Über-80-Jährigen kognitive Einbußen haben. Über alle Schwerpunkte findet man umfassende Informationen auf der Kongress-Homepage.
Wie sehen die Kongressformate aus? Gibt es hier etwas Neues oder Besonderes?
Neben gängigen Formaten wie Plenarsitzungen, Symposien, Falldiskussionen, Posterausstellungen oder Expertenforen wird es auch einiges Neues geben, von dem speziell der internistische Nachwuchs profitieren wird. So zum Beispiel das „Forum junge Internisten“, das sich gezielt an im Studium oder in der Weiterbildung befindliche Kolleginnen und Kollegen richtet. Ein Highlight ist hier „Meet and Greet the Professor“: An allen vier Kongresstagen stellt eine Professorin beziehungsweise ein Professor interessiertem Nachwuchs seine persönliche Karriereentwicklung vor. Weshalb habe ich eine universitäre Karriere gewählt? Was war Zufall an der Entwicklung, was war geplant? Was würde ich heute anders machen? Das sind beispielhafte Fragen, auf die eingegangen wird. Das Ganze im informellen Rahmen eines kleinen Frühstücks.
Was sind Ihre persönlichen Höhepunkte beim diesjährigen DGIM-Kongress?
Zu den Höhepunkten zählen sicherlich die vier Keynotes, für die wir Top-Speaker gewinnen konnten. Den Anfang am ersten Tag macht Dr. John Beard, Direktor der Abteilung „Altern und Lebensverlauf“ bei der Weltgesundheitsorganisation WHO. Sein Thema: „Healthy aging within WHO“. Dabei geht es unter anderem um die Entwicklung globaler Tools zum geriatrischen Assessment. Am zweiten Tag spricht Professorin Ursula Staudinger, Gründungsdirektorin des Columbia Aging Centers der Columbia University, über „Gewonnene Jahre: Potenziale des Alters.“ „Ernährung zwischen wissenschaftlichem Fortschritt und Marktgeschehen“ – so heißt die Keynote von Professorin Hannelore Daniel, Leiterin des Lehrstuhls für Ernährungsphysiologie an der TU München. Dort geht es um Ernährung jetzt und in Zukunft – 3D-Food ist etwa ein Thema. Am letzten Kongresstag referiert Professor Henrik Oster, Inhaber der Lichtenberg-Professur für Chronophysiologie in der Abteilung Innere Medizin der Universität Lübeck, darüber, wie die innere Uhr im Alter tickt.
Zusammengefasst: Warum lohnt es sich als Geriater, in Mannheim dabei zu sein?
In diesem Jahr decken eine Vielzahl der Programmpunkte explizit den Bereich Geriatrie ab. Das ist fast doppelt so viel wie im Jahr davor. Und auch in den anderen Bereichen haben wir dafür gesorgt, dass Themen der Altersmedizin dabei sind. Es lohnt sich auch deshalb, weil wir als Geriater diese Präsenz im nächsten Dezennium aufgrund der Anzahl der Schwerpunkte innerhalb der DGIM nicht mehr haben werden. Und dieser Kongress lohnt sich vor allem für die jüngeren Kolleginnen und Kollegen, die in der Weiterbildung sind, unter anderem wegen der genannten neuen Formate.
Lassen Sie uns den Fokus richten auf die Bedeutung, die die Geriatrie hierzulande in der Inneren Medizin hat. Welche Entwicklung zeichnet sich hier in Ihren Augen ab?
Insgesamt sehe ich die Entwicklung der Geriatrie innerhalb der Inneren Medizin in Deutschland positiv. Sie ist aus ihrem Nischendasein herausgetreten. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass es eine eigene Sektion Geriatrie innerhalb der DGIM gibt, ebenso innerhalb der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die Geriatrie in Deutschland steht aber auch noch vor sehr großen Herausforderungen, die bewältigt werden müssen. Zum Beispiel genügend jüngere Altersmediziner in der Krankenversorgung und auch in der Forschung zu bekommen. Und leider sind wir bei der Forderung nach einem Facharzt Geriatrie wieder zurückgeworfen worden, weil die Allgemeinmediziner die Notwendigkeit nicht sehen.
Welche Maßnahmen wären notwendig, um die Geriatrie in Deutschland weiter voranzubringen?
Zunächst muss die ambulante Versorgung verbessert werden. Die jetzt 50-jährigen niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen betreuen tagtäglich viele alte Patienten und machen ihre Aufgabe sicher gut. Aber sie haben kein geriatrisches akademisches Wissen im Studium gelernt. Diesen Kolleginnen und Kollegen muss man niederschwellig dieses Wissen übermitteln, angefangen beim geriatrischen Assessment. Dann werden wir in den mittelgroßen Krankenhäusern mit Innerer Medizin, von denen es ganz viele gibt, verstärkt geriatrisches Knowhow verbreiten müssen. Und schlussendlich brauchen wir mehr Lehrstühle, um geriatrischen Nachwuchs entsprechend auszubilden.
Wie sehen Sie die Rolle des Geriaters in den nächsten Jahren?
Der Geriater wird so etwas wie ein Reisebegleiter sein. Das liegt vor allem an der Multimorbidität seiner Patienten. Ich frage diese Patienten immer zuerst „Was stört Sie am meisten“ und meistens ist es etwas Funktionelles. Und wenn ich acht Diagnosen codiere, kann ich die nicht alle therapieren. Sondern ich muss mir überlegen, welche dieser Diagnosen interferiert mit eben dem, was den Patienten am meisten belastet. Deshalb braucht es den breit aufgestellten Internisten mit geriatrischer Schulung.
Was sollte die Politik tun, um diese wichtige Rolle des Geriaters zu fördern?
Leider ist im aktuellen Koalitionsvertrag kaum etwas zur Altersmedizin zu lesen. Die Politik könnte meiner Ansicht nach mehr fordern, damit vor allem die Universitäten eine bessere geriatrische Ausbildung umsetzen. In Nordrhein-Westfalen war es zum Beispiel ein politisches Desiderat, dass jedes mittelgroße Krankenhaus einen Geriater haben muss. Meiner Meinung nach könnte man das auch im universitären Bereich machen.
Was möchten Sie jungen Medizinern und Kongress-Teilnehmern mit auf den Weg geben?
Ich glaube, dass wir Geriater ein ganz besonderes und attraktives Fachgebiet haben, das sehr komplex ist, viel fordert und tolles interdisziplinäres Arbeiten ermöglicht. Daher habe ich es nie bereut, aus der Gastroenterologie wieder zurück in die Geriatrie gegangen zu sein. Ich kann jüngere Kolleginnen und Kollegen nur animieren, in dieses Fach zu gehen. Was es alles zu bieten hat, sehen Sie auf dem Kongress in wenigen Tagen.
Mehr Informationen zur Jahrestagung der DGIM finden Sie auf der Kongress-Homepage. Hier geht es zum Kongress-Programm.
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