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Pressemeldungen

03. September 2015

PM: Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie zur Sterbehilfe-Debatte

(03.09.2015) Im Januar 2014 hat Bundesgesundheitsminister Gröhe eine gesetzliche Neuregelung der „Sterbehilfe“ angekündigt. Fraktionsübergreifend sind inzwischen von verschiedenen Abgeordneten mehrere Gesetzentwürfe vorgelegt worden, die derzeit im Deutschen Bundestag diskutiert werden. Im November 2015 soll die Abstimmung darüber erfolgen. In der Praxis betreffen die diskutierten Vorschläge in erster Linie ältere Menschen. Deshalb sieht sich der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) in der Pflicht, zur Sterbehilfe-Debatte insgesamt Position zu beziehen.

  1. Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie wird in seinen Überlegungen von den ethischen Prinzipien ärztlichen Handelns geleitet, nach denen es gilt, dem Patienten nicht zu schaden, sein Leben und seine Gesundheit zu schützen, seine Wünsche und Wertvorstellungen zu respektieren und seine Würde zu achten. Die Sorgen von Patienten, dass in Folge der technischen Entwicklung der modernen Medizin der eigene Sterbeprozess künstlich verlängert wird, mit Schmerzen verbunden ist und Behandlungen gegen den eigenen Willen erfolgen, gilt es ebenso ernst zu nehmen wie die Diskussion um die Möglichkeit einer vorzeitigen Beendigung des Sterbeprozesses, da hier tiefgreifende Sorgen und Ängste zum Ausdruck kommen. So soll ein direkt oder indirekt vorgetragener Wunsch nach Beendigung des Lebens für Ärzte nie das Ende eines Gesprächs bedeuten, sondern vielmehr zu einem vertieften Gespräch mit dem Patienten über seine Sorgen und Ängste führen, in dem ihm die verschiedenen Hilfsangebote – etwa der Schmerz- und Palliativmedizin - nahegebracht werden können. Ein gutes Arzt-Patient-Verhältnis erfordert Vertrauen, damit auch tief gehende existentielle Fragen besprochen werden können.

  2. Derartige Gespräche finden stets vor dem Hintergrund der eigenen ethischen Bewertung und des rechtlichen Kontextes statt. Unabhängig davon, wie der einzelne Arzt selbst über Suizid und Suizidbeihilfe denkt und dies moralisch bewertet, sollte er in seiner Funktion als Arzt auf die dadurch zum Ausdruck gebrachte Notlage des Patienten reagieren können und sich einem solchen Gespräch nicht entziehen. Das bedeutet zugleich, dass sich Ärztinnen und Ärzte ihrer eigenen Haltung in dieser Fragestellung bewusst sein sollen, um dem Patienten ein guter und professioneller Gesprächspartner sein zu können.

  3. Da in diesen Gesprächen stets auch der rechtliche Kontext eine entscheidende Bedeutung hat, ist kritisch zu prüfen, welche Veränderungen der aktuellen Rechtslage wünschenswert erscheinen. In der aktuellen Sterbehilfe-Debatte geht es zum einen um die Frage, ob die Beihilfe zum Suizid neu geregelt werden sollte, zum anderen um ein Verbot organisierter Sterbehilfevereine. In der aktuellen politischen Diskussion geht es somit nicht um die Frage der aktiven Sterbehilfe durch einen Arzt. Diese „Tötung auf Verlangen“ ist in Deutschland strafrechtlich verboten und keiner der aktuellen Gesetzentwürfe schlägt hier eine Änderung vor. Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie begrüßt ausdrücklich, dass in der aktuellen Gesetzgebungsdebatte die aktive Tötung durch einen Arzt auf Wunsch des Patienten nicht zur Diskussion steht.

  4. Da im deutschen Recht der Suizid nicht als Straftat gilt, wird auch die Beihilfe zum Suizid grundsätzlich nicht als Straftat gewertet. Allerdings muss dieser Suizid freiverantwortlich erfolgt sein. Wer einen Patienten zu einem Suizid „überredet“, indem er ihm etwa über die bestehende Krankheitssituation nicht zutreffende Angaben macht, also beispielsweise bewusst eine falsche Diagnose mitteilt oder die aktuelle Situation als eine „ausweglose“ Krankheitssituation darstellt, um den Patienten in einen Suizid zu drängen, macht sich nach der aktuellen Rechtslage strafbar. Auch wenn die Beihilfe zum Suizid somit nicht in allen Fällen straflos ist, so ist im europäischen Vergleich die strafrechtliche Regelung der Beihilfe zum Suizid in Deutschland seit mehr als 100 Jahren liberal. Dennoch gehört es grundsätzlich nicht zur Aufgabe des Arztes, Beihilfe zum Suizid zu leisten. Allerdings weiß jeder, der längere Zeit ärztlich tätig ist, von Grenzsituationen bei schwerstkranken Patienten am Ende ihres Lebens. Hier sollte aus Sicht der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie nicht versucht werden, alle derartigen Fälle im Voraus rechtlich zu regeln.

  5. Die aktuelle gesellschaftspolitische Diskussion zur Sterbehilfe ist grundsätzlich zu begrüßen, da auf diesem Wege auch wichtige Informationen weitergetragen und Wissenslücken geschlossen werden können. So ist zum einen verstärkt darauf hinzuweisen, dass durch die gesetzliche Regelungen im Umgang mit Patientenverfügungen vom 1. September 2009 jeder volljährige Bürger verbindlich festlegen kann, wo für ihn persönlich die Grenzen der medizinischen Behandlung verlaufen. Dass dazu auch gehört, dass lebenserhaltende Maßnahmen (wie eine künstliche Ernährung) beendet werden können, wenn dies mit dem Willen des Patienten in Einklang steht, hat der Bundesgerichtshof im Jahr 2010 klargestellt.
    Für die Praxis im Krankenhaus, dem Alten- und Pflegeheim, sowie in der häuslichen Versorgung ist bei Fragen am Ende des Lebens vor allem eine Verbesserung der Vorsorgeplanung (Advance Care Planning) anzustreben. Durch eine angemessene Aufklärung über die Möglichkeiten eines Patienten, eine medizinische Behandlung zu begrenzen, können auch die Sorgen der Menschen vor einem Ausgeliefertsein an eine „Apparate-Medizin“ und ein „Sterben an Schläuchen“ verringert werden.

  6. Zudem muss bei der aktuellen Sterbehilfe-Debatte aus geriatrischer Sicht kritisch eingewandt werden, dass die jahrelangen Bemühungen um Suizidprävention in der aktuellen Debatte bedauerlicherweise in den Hintergrund geraten sind. Die Suizidprävention ist gerade in Hinblick auf ältere Menschen besonders zu betonen, da Alterssuizide in ihrer Bedeutung häufig unterschätzt werden. Gerade ältere Menschen gehören zu den Hochrisikogruppen für Suizide. Bei den Frauen wird fast jeder zweite Suizid von einer Frau über 60 Jahre begangen, und bei den Männern nehmen sich - prozentual auf die Altersgruppe bezogen - Männer über 75 Jahre am häufigsten das Leben. Das in der aktuellen Sterbehilfedebatte zentrale Element der Selbstbestimmung und der Freiverantwortlichkeit muss aus medizinisch-psychologischer Sicht kritisch hinterfragt werden, da die Belastungen und Einschränkungen für viele Menschen im Alter erheblich zunehmen können (Multimorbidität, Schmerzen, chronische Krankheitsverläufe) und bisher funktionierende Lösungsstrategien wegbrechen (Tod des Partners, Verlust familiärer Beziehung, soziale Vereinsamung). Ein hoher Anteil der älteren Menschen, die durch Suizid verstorben waren, hatte psychische Störungen. Depressionen werden bei älteren Menschen häufig nicht erkannt, gerade wenn auch das Umfeld fälschlicher Weise der Meinung ist, dass eine „gedrückte Stimmung“ zum Alter dazugehöre und als eine unbedenkliche, „normale“ Reaktion altersbedingter Einschränkungen zu verstehen sei. So weist die Arbeitsgruppe „Alte Menschen“ im Nationalen Suizidpräventionsprogramm eindringlich darauf hin, dass gerade ältere Männer ihr Umfeld auf eine „falsche Fährte“ führten, wenn sie die Zeichen einer Depression auf die Benennung körperlicher Symptome reduzieren. Wichtig ist es wahrzunehmen, dass eine Depression auch im Alter eine Krankheit darstellt, die erfolgreich behandelt werden kann. Auch wird häufig zu wenig beachtet, dass ältere Suizidopfer an einer Suchterkrankung gelitten haben (etwa ein Drittel). Hier sind vor allem Alkohol und Beruhigungsmittel zu nennen. Insofern stimmen wir mit der Stellungnahme des Deutschen Ethikrates überein, der in der aktuellen Sterbehilfe-Debatte eine Schieflage in der Thematisierung ausgemacht hat und sich dafür ausspricht, in der Suizidprävention das zentrale gesellschaftspolitische Anliegen zu sehen.

  7. Sterbehilfeorganisationen und -vereine, die aufgrund von kommerziellen Interessen Information zur Selbsttötung und Suizidbegleitung zur Verfügung stellen, sollten verboten werden. Die deutsche Gesellschaft für Geriatrie sieht eine negative Veränderung des gesellschaftspolitischen Klimas, wenn der Suizid als „normale Option“ unterstützt und als Dienstleistung im Rahmen des Gesundheitswesens verfügbar wird. Gerade für vulnerable ältere Menschen sehen wir die Gefahr, dass sie in Rechtfertigungsdruck geraten können, warum sie das „Angebot“ der Beihilfe zum Suizid nicht annehmen wollen.

  8. Fazit:
    a. Es müssen die Rahmenbedingungen weiter verbessert werden, die eine gute ärztliche Begleitung schwerstkranker älterer Patienten bis an ihr Lebensende ermöglichen.
    b. Bei der engen Assoziation von Suizid und psychischen Erkrankungen muss in der Debatte über Suizid der Gedanke der Suizidprävention stärker berücksichtigt werden.
    c. Die bestehenden strafrechtlichen Regelungen zum Suizid und zur Suizidbeihilfe sollten bestehen bleiben.
    d. Organisierte Sterbehilfevereine, die kommerzielle Interessen verfolgen, sollten verboten werden.

 

Literatur (Auswahl)

Arbeitsgruppe „Alte Menschen“ im Nationalen Suizidpräventionsprogramm für Deutschland (NaSPro) Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) (2015) Wenn alte Menschen nicht mehr leben wollen. Situation und Perspektiven der Suizidprävention im Alter. Köln.

Deutscher Ethikrat (2014) Zur Regelung der Suizidbeihilfe in einer offenen Gesellschaft: Deutscher Ethikrat empfiehlt gesetzliche Stärkung der Suizidprävention. Ad-hoc-Empfehlung. Berlin

Wolfslast, G.; Schmidt K.W. (Hrsg.) (2005) Suizid und Suizidversuch. Ethische und rechtliche Herausforderung im klinischen Alltag. C.H. Beck-Verlag, München.

 

Auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) vom 03. bis 05. September 2015 in Frankfurt am Main wird sich das Symposium „Sterben und Sterben lassen in der Geriatrie“ ebenfalls der Thematik widmen. In drei Vorträgen wird auf rechtliche und ethische Aspekte der Sterbehilfe eingegangen. Das Symposium findet statt am Freitag, den 04. September um 11 Uhr in Hörsaal 2. Alle Vertreter der Presse laden wir hierzu herzlich ein. Bei Interesse melden Sie sich bitte vorab über presse@dggeriatrie.de an.

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Foto: iStock.com/Lammeyer

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