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Professor Markus Gosch über die Geriatrie und Alterstraumatologie: „Wir müssen unsere Kompetenzen interdisziplinär bündeln“
(07.03.2022) Als gebürtiger Österreicher ist er ein Novum im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG): Professor Markus Gosch. Als President-elect will er wichtige Akzente setzen, und dabei das Image der Geriatrie in der Öffentlichkeit verbessern. Fachliche Akzente setzt er derzeit als Mitglied des Kongresspräsidenten-Trios zum Alterstraumatologie-Kongress, der Anfang Juni in München stattfindet. „Nach mittlerweile vier Jahren Pause wird das eine besonders wichtige Präsenz-Veranstaltung, um alle wichtigen wissenschaftlichen Updates zu bekommen – es ist viel passiert“, so der Chefarzt der Klinik für Innere Medizin 2 mit dem Schwerpunkt Geriatrie am Klinikum Nürnberg der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Nürnberg. Im Interview verrät er, was Geriater vom Kongress erwarten können und wie die DGG von seinen Erfahrungen in Österreich profitieren kann.
Herr Professor Gosch, wie ist es als Österreicher im Vorstand einer deutschen Fachgesellschaft?
Ich persönlich finde die Aufgabe sehr spannend, weil ich auf beiden Seiten der Grenze viele berufliche Erfahrungen sammeln konnte. Sowohl in der klinischen Arbeit in Tirol, Rosenheim und Nürnberg, als auch in der Wissenschaft. Auch mein Wissen aus der jahrelangen Vorstandstätigkeit in der Österreichischen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie, der ÖGGG, kann ich nun einsetzen. Grundsätzlich finde ich, dass wir alle voneinander lernen und profitieren können. Und da ich mich der DGG sowie den Kolleginnen und Kollegen in Deutschland durch persönliche Kontakte schon lange verbunden fühle, kann ich nur sagen: Unabhängig von meiner Herkunft freue ich mich sehr auf die gemeinsame Weiterentwicklung der Fachgesellschaft und des Faches Geriatrie.
Und was können wir nun von den Österreichern lernen?
Aus medizinischer Perspektive gibt es kaum Unterschiede. Wir haben auch ähnliche Herausforderungen, zum Beispiel die Etablierung des Faches Geriatrie in der ärztlichen Weiterbildung. Unterschiede gibt es vor allem in der Struktur der Gesundheitssysteme. In Österreich gibt es in der Geriatrie wesentlich weniger Privatisierungen, das heißt die Institutionen sind staatlich finanziert. Das führt in der Regel zu mehr Freiheiten – zum Beispiel bei der Dauer einer Behandlung. Wenn eine Klinik oder ein Behandlungszentrum einen Patienten vorsichtshalber ein paar Tage länger stationär aufnimmt, dann führt das nicht gleich zu wirtschaftlichen Einbußen. Diese ‚wirtschaftliche‘ Freiheit vermisse ich in Deutschland punktuell. Dafür erlebe ich, dass in Deutschland die Qualitätskriterien bei der Behandlung wesentlich strenger eingehalten werden. Insgesamt gibt es hier klarere Regeln – das wiederum könnte sich Österreich zum Vorbild nehmen.
Was wollen Sie im DGG-Vorstand in den kommenden Jahren bewegen?
Der Vorstand hat aktuell viele wichtige Themen auf der Agenda stehen – die Verfolgung des GB-A-Beschlusses zu den hüftgelenksnahnen Frakturen und einer einheitlichen Zertifizierung von Alterstraumatologischen Zentren nehmen hier viel Zeit ein. Meine Schwerpunkte als President-elect sind derzeit die Aktivierung und Stärkung der DGG-Arbeitsgruppen sowie die Planung eines Präsenzkongresses für 2023. Mein ganz persönliches Ziel ist, das Image der Geriatrie in der Fachwelt sowie der öffentlichen Wahrnehmung zu verbessern. Dazu gehört, dass ich mich zukünftig an passender Stelle bei politischen Themen stärker einbringen will. Wir müssen uns auch möglichen Kontroversen stellen und damit Stellung beziehen.
Sie haben sich auf die Erforschung und Behandlung von Verletzungen sowie Wunden im Alter spezialisiert. Was interessiert Sie daran?
Ich empfinde dies als einen Kernbereich der Geriatrie. Delir, Schmerz sowie die Osteoporose sind für ältere Patienten enorme Herausforderungen. Aktuell erleben wir ja, wie unsere Forschungsarbeit in dem Feld der Traumatologie die Sterberaten von Patienten mit hüftgelenksnahen Frakturen senken kann. Das begeistert mich. Dazu gekommen bin ich während meiner Zeit am Universitätsklinikum in Innsbruck. Dort hatte ich die Möglichkeit erhalten, den Aufbau des Zentrums für Alterstraumatologie zu begleiten. Bis heute begleitet mich dieses Thema als Geriater.
In welchen Bereichen ist heute verstärkte Forschung notwendig?
Die hüftnahen Frakturen sind recht gut erforscht. Aber auch hier braucht es nun noch eine deutlich engere Zusammenarbeit von Geriatern und Unfallchirurgen – das ist den meisten Medizinern aber auch klar. Der G-BA-Beschluss ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Nur muss das eben noch in festen Strukturen verankert werden. Neben den Hüftfrakturen müssen wir uns auch verstärkt den anderen Frakturen widmen und die gemeinsame Versorgung wissenschaftlich begleiten – natürlich mit dem Ziel, diese weiter zu verbessern. Hier kann die Forschungsintensität noch vertieft werden, zudem könnten in diesem Bereich nach meiner Meinung noch klarere Richtlinien für die Behandlung erarbeitet werden. Eines ist klar: Nur zu forschen, reicht nicht aus. Wir müssen anschließend bei der Erarbeitung von Leitlinien und der folgenden Behandlung stärker als zuvor unsere Kompetenzen interdisziplinär bündeln.
Nun gehören Sie auch der wissenschaftlichen Leitung des nächsten Alterstraumatologie-Kongresses in München an. Welche Programmschwerpunkte sind Ihnen dort besonders wichtig?
Für uns ist es der erste Kongress seit 2018. Seitdem ist sehr viel passiert. Es gibt also wichtige wissenschaftliche Updates in sämtlichen Teilbereichen der Alterstraumatologie. Wir haben viele spannende Schwerpunktthemen, wie Endoprothetik, Delir, Ernährung, Schädelhirntrauma oder auch die Versorgung in der Notaufnahme, um nur einige zu nennen.
Warum lohnt es sich für Geriater, an diesem Kongress teilzunehmen?
Ein wichtiger Schwerpunkt des Kongresses ist Co-Management zwischen Geriatern, Unfallchirurgen und Orthopäden, das sich in den vergangenen Jahren als Vorreiter der interdisziplinären Zusammenarbeit hervorgetan hat. Deshalb glaube ich, dass Geriater aus den Programmpunkten für die zukünftige Arbeit sehr viel mitnehmen können. Zudem geht es beim Kongress um den aktuellen Forschungsstand wichtiger geriatrischer Themen: Multimorbidität, Polypharmazie, Schmerztherapie, Frühkomplexbehandlung und Rehabilitation sowie beispielsweise auch Covid-19 in der Alterstraumatologie. Ich glaube, der Alterstraumatologie-Präsenzkongress bietet sich besonders an, um sich nach vielen Jahren auch endlich mal wieder live zu sehen und auszutauschen.
Mehr Informationen zum Alterstraumatologie-Kongress, der am 1. und 2. Juni 2022 in München stattfindet, gibt es unter: https://alterstraumatologie-kongress.de
Foto: Klinikum Nürnberg
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