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07. Februar 2022

DGG-Präsident Wirth mit Fünf-Punkte-Plan: „Wir wollen neue Konzepte und Strategien entwickeln“

(07.02.2022) Professor Rainer Wirth (Foto) hat einiges vor im ersten Jahr als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG). Er hat der Fachgesellschaft einen Fünf-Punkte-Plan verordnet, um die Herausforderungen der Geriatrie wissenschaftlich und politisch zu begleiten. „Neben der anhaltenden Corona-Pandemie gibt es noch viele weitere Themen, die für alte und hochaltrige Patienten relevant sind“, so Wirth, Direktor der Klinik für Altersmedizin und Frührehabilitation am Marien Hospital Herne – Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum. Dazu zählt: die Behandlungsergebnisse von alterstraumatologischen Patienten durch die strukturierte Zusammenarbeit mit Unfallchirurgen zu verbessern. Zudem wird er nun zum dritten Mal in Folge den Jahreskongress der DGG federführend mitorganisieren. Im Interview spricht er darüber, was ihn und den Vorstand seit der Wahl im September beschäftigt hat, wo er politische Maßnahmen für notwendig hält – und er spricht natürlich darüber, welche Ziele die Fachgesellschaft mit Hilfe der aktiven Mitglieder in 2022 erreichen sollte.

Herr Professor Wirth, welche Aufgaben haben die ersten Wochen Ihrer Präsidentschaft geprägt?
Im Wesentlichen ging es mit Hochdruck um den neuen Veranstaltungsort des Gemeinschafts-Kongresses von Geriatern und Gerontologen. Was einfach klingt, ist mit den Nebenwirkungen der Corona-Pandemie nicht ganz so einfach. Die bereits zugesagten Räumlichkeiten der Universität in Halle stehen uns wegen Baumaßnahmen in diesem Jahr nicht zur Verfügung, viele alternativ angeschaute Orte entsprechen nicht dem, was wir brauchen. Nicht zuletzt gab es oft auch Termin- und Interessenskollisionen mit bereits parallel stattfindenden Medizinkongressen. Daher bedauere ich auch, dass unser nun festgelegter Kongress-Termin mit der Jahrestagung der Psychologen kollidiert. Aber an der Goethe-Universität in Frankfurt waren die freien Zeiträume im September auch sehr begehrt und wir sind letztendlich froh, dass wir nun vom 12. bis 15. September wieder einen Präsenz-Kongress planen können. Und ich muss sagen: Ich freue mich richtig darauf, in diesem Jahr viele Kollegen aller Wahrscheinlichkeit nach auch wieder persönlich zu treffen.

Themen für den Kongress gibt es sicherlich genug?
Ganz sicher haben wir genug zu besprechen! Auf der wissenschaftlichen Ebene ist sehr viel passiert in den vergangenen Jahren. Und ich kann versprechen: Es geht nicht nur um Corona, sondern auch um die vielen anderen Facetten der Geriatrie. Für das umfangreiche Programm, das wir gerade planen, haben wir auch extra einen zusätzlichen Hörsaal angemietet.

Können Sie uns schon verraten, wen wir als Keynote-Speaker zu erwarten haben?
Die einzelnen Keynote-Speaker geben wir erst später bekannt – es stehen auch noch nicht alle final fest. Fest steht aber unsere Festrednerin: Ich freue mich wirklich sehr, dass wir dafür Judith Campisi gewinnen konnten. Sie ist eine renommierte amerikanische Alternsforscherin. Als Professorin für Biogerontologie arbeitet sie am Buck Institute for Research on Aging nördlich von San Francisco. Ich bin schon sehr gespannt auf ihren Vortrag am ersten Kongress-Abend, in dem sie zu unserem Kongress-Motto Resilienz und Vulnerabilität einen Bogen von der Grundlagenforschung bis hin zur praktischen Anwendung spannen wird.

Wäre auch ein Hybrid-Kongress denkbar – also online wie vor Ort, sodass möglichst viele Interessierte teilnehmen?
Wir haben uns darüber natürlich Gedanken gemacht. Aber finanziell wäre ein Hybrid-Modell mit Präsenz und Online-Abbildung für uns aktuell nicht zu stemmen. Sollte der medizinische Sektor im kommenden September wieder über alle Maßen strapaziert sein durch die anhaltende Pandemie, werden wir das komplette Programm als Online-Kongress stattfinden lassen. Derzeit gehen wir aber zuversichtlich davon aus, dass wir uns alle in Frankfurt treffen können – und den persönlichen Austausch halte ich obendrein auch für wichtiger denn je.

Der Kongress ist eine große Aufgabe. Welche Ziele haben Sie sich darüber hinaus für das erste Jahr Ihrer DGG-Präsidentschaft gesetzt?
Als wissenschaftliche Fachgesellschaft ist es mir persönlich wichtig, dass wir die vielen Facetten der Altersmedizin aktiv begleiten. Dafür habe ich einen persönlichen Fünf-Punkte-Plan aufgestellt und diesen als gemeinsame Zielvorgabe mittlerweile auch mit dem Vorstand abgestimmt. Wichtig ist mir klarzustellen: Die brennenden Themen unserer Fachgesellschaft können wir nur im Team voranbringen – im Vorstand wie auch in den einzelnen Arbeitsgruppen. Darauf baue ich.

Welche fünf Punkte – also Themen und Ziele – sind das genau?
Zuerst wollen wir jetzt die Arbeit der Arbeitsgruppen der DGG intensiver fördern. Durch die Pandemie ist in den vergangenen Jahren zu viel liegen geblieben. Professor Bauer hatte diese Aufgabe während seiner Präsidentschaft bereits erkannt und wichtige Impulse im Sinne der AG-Förderung gesetzt. Leider hat uns die Pandemie dann einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nun werden wir die AG-Sprecher und den neuen Vorstand enger vernetzen. Dazu gibt es nun ein erstes Online-Treffen, wo wir weitere Schritte verabreden möchten. Zudem sollen die Arbeitsgruppen auch finanziell unterstützt werden – mit bis zu 2.000 Euro im Jahr. Der Betrag kann für die inhaltliche Arbeit, Reisekosten oder auch für Gebühren von Open-Access-Publikationen von AG-Projekten genutzt werden. Für umfangreichere Forschungsprojekte wird auf Antrag auch mehr Geld zur Verfügung gestellt. Auch gibt es ab sofort einen festen Ansprechpartner für AG-Angelegenheiten im Vorstand. Dies ist der jeweilige Präsident-elect, aktuell also Professor Gosch aus Nürnberg.

Wäre dann nicht auch eine Unterstützung des wissenschaftlichen Nachwuchses sinnvoll?
Genau das haben wir vor und das bringt mich zum zweiten Punkt: Wir wollen die Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftsforum Geriatrie, das seit 2014 gezielt den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Geriatrie fördert, besser mit unseren Aktivitäten verzahnen. Das Forum leistet wichtige Arbeit und dafür brauchen wir auch einen fest verankerten Platz in unserer Fachgesellschaft. Wie das genau aussehen kann, planen wir gerade mit dem Vorstand des Wissenschaftsforums. Deren mit 1.000 Euro dotierter Bethesda-Forschungspreis soll auch in diesem Jahr wieder im Rahmen unseres Kongresses verliehen werden. Auch die Ausschreibungen für die Stipendien zur Teilnahme an der EAMA, der European Academy for Medicine of Ageing, gehen in die gleiche Richtung.
Mit der Nachwuchsförderung einher geht auch mein dritter Zielpunkt: Wir wollen die Arbeitsstruktur der DGG effizienter gestalten. Manche Mitglieder monieren, dass so manche Zuständigkeit nicht immer klar ist oder die Wege zu Entscheidungen im Vorstand zu lang sind. Daher arbeiten wir gerade daran, vorhandene Strukturen weiterzuentwickeln.

Abgesehen von den internen Zielen: Was hat sich die DGG politisch vorgenommen?
Damit beschäftigen sich die letzten beiden Punkte unserer Agenda für dieses Jahr: Wir werden die Ausgestaltung des geriatrischen Co-Managements bei hüftgelenksnahen Frakturen genau beobachten. Hier sind Unfallchirurgen seit vergangenem Jahr verpflichtet, mit Geriatern zusammenzuarbeiten. In dem entsprechenden Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses, dem G-BA, sind nach unserer Ansicht noch nicht alle Punkte klar definiert. Hier geht es nicht nur um Voraussetzungen für die entsprechende Abrechnung einer Behandlung, sondern um ganz konkrete Einbeziehung des geriatrischen Know-hows. Damit beschäftigt sich der fünfte und letzte Punkt unserer Ziele: Wir wollen mit einer neuen, einheitlichen Zertifizierung die Grundlage und einen Anreiz dafür schaffen, dass in Deutschland mehr Alterstraumatologische Zentren mit denselben hohen Qualitätsstandards eingerichtet werden. Grundsätzlich gilt für uns: Wir wollen neue Konzepte und Strategien für die geriatrische Behandlung entwickeln und verbreiten.

Aber was genau stört Sie an den aktuellen Zertifizierungen?
Stören trifft es nicht ganz. Es ist vor allem nicht hilfreich beim Aufbau und der Weiterentwicklung dieser Zentren, wenn es weiterhin unterschiedliche Zulassungsverfahren gibt – derzeit eines über den Bundesverband Geriatrie sowie eines über die DGU, die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie. Zusammen mit beiden Einrichtungen arbeitet die DGG nun an einer gemeinsamen Zertifizierung. Dies garantiert einheitliche Standards, die Behandlung erfolgt bundesweit nach den immer gleichen Kriterien und zudem können wir damit dann auch endlich ein einheitliches, zentrales Datenregister aller Alterstrauma-Zentren schaffen und geriatrisch relevante Inhalte dort integrieren.

In welchen Bereichen der wissenschaftlichen Praxis wünschen Sie sich denn noch mehr Aktivität?
Das betrifft die wissenschaftliche Agenda unserer Hochschulen und ihrer Lehrstühle. Wir können damit zufrieden sein, dass in den letzten Jahren immer mehr Lehrstühle für Geriatrie eingerichtet worden sind. Nun muss es diesen Lehrstühlen noch mehr gelingen, wichtige wissenschaftliche Impulse in der Altersmedizin zu setzen. Die Konkurrenz ist groß, da sich mittlerweile fast alle Fächer verstärkt mit dem Altern beschäftigen. Unser Augenmerk als Fachgesellschaft liegt nun eher darauf, mehr junge Menschen für die Altersmedizin und die wissenschaftliche Arbeit zu begeistern. Hier könnten stellenweise sicher noch bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit gerade ambitionierten Nachwuchswissenschaftlern eine attraktives Arbeitsumfeld geboten wird, in dem sie forschen können und eine gute klinisch geriatrische Ausbildung erhalten.

Sie haben also keine akuten Wünsche an die Geriatrie-Lehrstühle?
Doch, einen Wunsch hätte ich: Nämlich, dass sich möglichst viele aktiv am Netzwerk Universitätsmedizin, kurz NUM, beteiligen. Diese neue Initiative schafft eine einmalige Gelegenheit, die Arbeit der geriatrischen Lehrstühle zu vernetzen und abzustimmen, wo dies sinnvoll und notwendig ist. Von den Ergebnissen könnten wir in der Praxis und Forschung profitieren.

Gibt es noch weitere Projekte, die Sie für Ihre Amtszeit ins Auge gefasst haben?
Ja definitiv. Dies ist aber kein Punkt für ein Jahr, sondern eine Aufgabe, die alle Präsidenten und Vorstände der DGG kontinuierlich begleitet hat und auch mich weiter beschäftigen wird. Aus meiner Sicht ist durch die aktuelle Zusatzbezeichnung Geriatrie unzureichend abgegrenzt, welche inhaltlichen und formalen Voraussetzungen jemand mitbringen muss, um das Fach Geriatrie in der Krankenversorgung zu vertreten. Zwar hatte die Bundesärztekammer in ihrer letzten Musterweiterbildungsordnung von 2018 richtigerweise eingegrenzt, dass diese Zusatzbezeichnung Geriatrie nur von Fachärzten für Innere Medizin, Neurologie, Allgemeinmedizin, Physikalische und Rehabilitative Medizin oder Psychiatrie und Psychotherapie erworben werden kann. Doch ist diese Musterweiterbildungsordnung in den Landesärztekammern sehr unterschiedlich umgesetzt worden und in manchen Kammerbezirken kann jeder Arzt und jede Ärztin aus jeder Fachdisziplin die Zusatzbezeichnung Geriatrie erwerben und dann gegebenenfalls auch eine solche Abteilung leiten.

Aber ist das im Sinne der Geriatrie überhaupt sachgerecht?
Das halte ich für alles andere als sachgerecht. Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, wie ein Chirurg ein fundiertes Multimedikationsmanagement betreiben soll, um nur eines von vielen möglichen Beispielen zu nennen. Die Geriatrie braucht flächendeckend eine höherwertige Qualifikation, wie zum Beispiel den Schwerpunkt in der Inneren Medizin, den es in wenigen Bundesländern bereits gibt oder einen eigenen Facharzt für Geriatrie. Mindestens muss aber der Inhalt der aktuellen Musterweiterbildungsordnung flächendeckend umgesetzt werden. Dieses Thema werden wir als Vorstand ebenfalls neu aufgreifen und eine längerfristige Strategie für die Verbesserung der Situation entwickeln.

Foto: privat

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