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Schmerzen bei Bewohnern von Altenpflegeeinrichtungen erkennen: Erstmals erstellte S3-Leitlinie hilft Ärzten, Pflegern und Therapeuten
(14.11.2019) Bis zu 80 Prozent der Bewohner von Altenpflegeheimen leiden unter Schmerzen. Doch gerade bei diesen Menschen werden Schmerzen häufig nicht oder unzureichend erkannt und folglich auch nicht behandelt. „Schmerzen im Alter zu erkennen, ist für Ärzte, Pflegekräfte und Therapeuten nicht immer einfach“, erklärt Privatdozent Dr. Albert Lukas (Foto links), Chefarzt des Zentrums für Altersmedizin am Malteser Krankenhaus Seliger Gerhard Bonn/RheinSieg. „Ältere Menschen sagen es häufig nicht, wenn ihnen etwas wehtut. Sie glauben, dass dies zum Alter dazugehört.“ Die erstmals erstellte S3-Leitlinie „Schmerzassessment bei älteren Menschen in der vollstationären Altenhilfe“, deren Erstellung Lukas mitkoordinierte, bietet Ärzten, Therapeuten und Pflegekräften eine Anleitung, wie sie Schmerzen erkennen, einschätzen und den Erfolg der Therapie verfolgen können. Veröffentlicht wurde nun auch eine Patientenversion, die die Empfehlungen für Laien erklärt.
Die Leitlinie geht auch darauf ein, wie Beschwerden bei Menschen mit Demenz erfasst werden können. „Gerade demente Patienten äußern ihre Schmerzen häufig nicht typisch“, sagt Dr. Corinna Drebenstedt (Foto rechts), Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) und Co-Autorin der Leitlinie. „Sie schreien oder laufen umher, wenn ihnen etwas wehtut.“ Häufig erhalten sie dann Beruhigungsmittel, obwohl der Schmerz erkannt und behandelt werden müsste, damit sie wieder zur Ruhe kommen.
Die Schmerzen erfassen: Kontaktpersonen sollten Screening anwenden können
Die Leitlinie empfiehlt deshalb eine strukturierte Erfassung von Schmerzen. „Zunächst sollte jeder Bewohner in der stationären Altenhilfe innerhalb von 24 Stunden nach dem Einzug gescreent werden“, erläutert Drebenstedt. Hat ein Bewohner keine oder nur leichte kognitive Einschränkungen, reicht dafür häufig die Frage, ob ihm aktuell etwas wehtut. Diese Frage sollten Pflegekräfte erneut stellen, wenn der Bewohner sein gewohntes Verhalten ändert. Wenn er zum Beispiel plötzlich nicht mehr isst, kann das ein Anzeichen für Zahnschmerzen sein. Aber auch Ärzte, Therapeuten und Sozialarbeiter, die mit den Heimbewohnern im Kontakt stehen, sollten das Screening anwenden können, fordert die Leitlinie.
Ist ein Bewohner nicht mehr in der Lage, sich zu äußern, raten die Leitlinien-Autoren, sein Verhalten zu beobachten, beispielsweise bei der Morgentoilette. So kann es ein Anzeichen für Schmerz sein, wenn ein Bewohner Berührungen abwehrt, Schonhaltungen einnimmt oder sein Gesicht zu einer Grimasse verzieht. „Solche Fremdbeobachtungen können helfen, die Frage zu klären, ob ein Bewohner Schmerzen hat oder nicht“, sagt Geriater Lukas.
Besserer Austausch zwischen Pflegekraft und Hausarzt notwendig
Für jeden Bewohner, bei dem Schmerzen festgestellt wurden, sollten diese im Detail erfasst werden. „Dazu gehören zum Beispiel die Fragen, was genau wehtut, welche Art von Schmerz der Bewohner wie stark empfindet und ob der Schmerz eher in Bewegung oder in Ruhe auftritt“, erläutert Lukas. „Für die Einschätzung bei Dementen gibt es erprobte Instrumente wie die BESD-Skala.“ BESD steht für Beobachtung von Schmerzen bei Demenz. „Wichtig ist auch ein besserer Austausch zwischen den Professionen. Es ergibt schließlich keinen Sinn, wenn eine Pflegekraft Schmerzen erkennt, diese Information den Hausarzt aber nicht erreicht.“
Diese Einschätzung soll nach Beginn der Schmerztherapie regelmäßig wiederholt werden. „Das bietet auch die Chance, die Behandlung gezielt anzupassen“, sagt Geriaterin Drebenstedt. „Viele Patienten benötigen nicht nur Medikamente, sondern zum Beispiel auch Physiotherapie, um den Schmerz zu lindern.“
38 Fachgesellschaften sehen starken Forschungsbedarf für die kommenden Jahre
An der Erstellung der Leitlinie haben Vertreter von 38 ärztlichen, therapeutischen und pflegerischen Fachgesellschaften sowie des Deutschen Zentrums für neurogenerative Erkrankungen mitgewirkt. „Ich glaube, dass wir damit einen breiten Konsens über die beteiligten Professionen hinweg abbilden“, so Drebenstedt. Initiiert wurde die Leitlinie vom gemeinsamen Arbeitskreis „Schmerz und Alter“ der Deutschen Schmerzgesellschaft sowie der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie, die Drebenstedt stellvertretend leitet. Trotz intensiver Arbeit über mehr als sechs Jahre konnten die Experten für viele Fragen keine Antworten in wissenschaftlichen Studien finden. „Die meisten Empfehlungen beruhen daher auf dem Konsens der beteiligten Fachleute“, sagt Koordinator Lukas. „Hier bleibt viel Forschungsbedarf für die kommenden Jahre.“
Nachdem die gesamte Leitlinie nun auf der Webseite der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften veröffentlicht worden ist, wurde aktuell eine Kurzfassung publiziert. Auch eine Patientenversion, die die Empfehlungen für Laien erklärt, ist zwischenzeitlich ebenfalls abrufbar.
Hier finden Sie die S3-Leitlinie als PDF-Download.
PD Dr. med. Albert Lukas ist Chefarzt des Zentrums für Altersmedizin am Malteser Krankenhaus Seliger Gerhard Bonn/Rhein-Sieg. Nach seiner Facharztausbildung in Innerer Medizin und Neurologie arbeitete der 53-Jährige als Oberarzt in Ulm, bevor er im März 2014 in seine heutige Position wechselte. 2013 habilitierte er sich über das Thema „Schmerzmanagement im Alter“. Er ist Absolvent der European Academy of Medicine of Aging. Lukas ist ärztlicher Koordinator der interdisziplinären S3-Leitlinie „Schmerzassessment bei älteren Menschen in der vollstationären Altenhilfe“.
Dr. med. Corinna Drebenstedt ist Chefärztin der Klinik für Geriatrie am St.-Marien-Hospital Friesoythe. Sie engagiert sich in der DGG als Schatzmeisterin sowie als stellvertretende Sprecherin der Arbeitsgruppe „Schmerz und Alter“. Den Grundstein für ihre Karriere hat sie im Studium der Medizin in Bonn und Würzburg gelegt. Die gebürtige Magdeburgerin war bereits niedergelassene Ärztin in einer Allgemeinarztpraxis in Hannover, bevor sie sich für die Organisation „Ärzte für die 3. Welt“ auf den Philippinen eingesetzt hat. Anschließend hat sich Drebenstedt auf dem Gebiet der Geriatrie spezialisiert und ist Absolventin der European Academy of Medicine of Aging.
Foto Dr. Lukas: Malteser Krankenhaus Seliger Gerhard, Bonn-Rheinsieg
Foto Dr. Drebenstedt: privat
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