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Altersmediziner legen Einspruch ein: „Darstellungen zum Barmer-Krankenhausreport sind falsch und fahrlässig!“
(21.07.2017) Scharfe Kritik übt die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) an der aktuellen Debatte um den Barmer-Krankenhausreport, der in dieser Woche veröffentlicht wurde. Verkürzte Aussagen vermitteln das Bild, dass hochbetagte Patienten in deutschen Krankenhäusern nicht gut versorgt werden. „Das Gegenteil ist im internationalen Vergleich der Fall“, sagt DGG-Präsident Professor Jürgen M. Bauer (Foto), Lehrstuhlinhaber an der Universität Heidelberg und Ärztlicher Direktor des Agaplesion Bethanien Krankenhaus Heidelberg. „Der alte Mensch darf sich in deutschen Krankenhäusern in guten Händen wissen!“ Die Krankenkasse beklagt pauschal steigende Kosten, bemängelt eine zu hohe Pflegebedürftigkeit nach einem Krankenhausaufenthalt, betrachtet die Ursachen aber undifferenziert – und das zu Lasten älterer Patienten. „Dieser grob vereinfachenden Darstellung müssen wir widersprechen“, sagt Bauer. Im Interview spricht der renommierte Altersmediziner über die wirklichen Herausforderungen, mögliche Konzepte und das öffentliche Bild der Altersmedizin.
Herr Professor Bauer, was kritisieren Sie am aktuellen Barmer-Krankenhausreport konkret?
Mich ärgern vor allem die verkürzten Darstellungen der Report-Ergebnisse. Diese suggerieren der Öffentlichkeit, dass für die Geriatrie finanzielle Interessen im Vordergrund stehen und nicht der individuelle Behandlungsbedarf der Patienten. Dies zeichnet ein falsches Bild! Natürlich steht für uns Ärzte und unsere Teams das Wohlergehen unserer Patienten an erster Stelle. Zudem wurden im Kontext des Barmer-Reports die Behandlungsergebnisse bei Patienten der Akut-Geriatrie und solchen der Reha-Geriatrie pauschal in einen Topf geworfen. Es handelt sich jedoch um zwei gänzlich unterschiedliche Patientengruppen, die nicht ohne weiteres miteinander zu vergleichen sind. Schon gar nicht bei der Bewertung des Reha-Erfolgs.
Warum stehen gerade die Reha-Maßnahmen im Zentrum der Diskussion?
Weil Reha-Maßnahmen an sich einen durchaus relevanten Kostenfaktor darstellen, als geriatrische Frührehabilitation auch in den Akutkliniken. Die Krankenkassen befürchten hier einen weiteren deutlichen Kostenanstieg. Alle Versicherer haben mit steigenden Kosten für die Behandlung ältere Patienten zu kämpfen. Das liegt vor allem an der demografischen Entwicklung, aber auch den vielen neuen medizinischen Verfahren, von denen auch Hochbetagte profitieren. Die Bedeutung und die Vorteile eines frühzeitigen rehabilitativen Angebots, welches die Krankenhausbehandlung bei betagten Patienten ergänzt, darf nicht in Frage gestellt. Dies wäre geradezu fahrlässig, wenn man die Notwendigkeit des Erhalts der Selbständigkeit und Autonomie des älteren Patienten bedenkt.
Was ist das Problem an der Kritik bei geriatrischen Reha-Maßnahmen?
Es wird suggeriert, dass die geriatrische Frührehabilitation im Akutkrankenhaus im Vergleich zu „klassischen“ Reha-Angeboten weniger erfolgreich sei, da gemäß der Zahlen der Barmer nach der ersteren mehr Patienten pflegebedürftig seien. Fakt ist aber, dass beide Formen der geriatrischen Rehabilitation nachweislich Erfolge zeigen. Jedoch unterscheiden sich die Patienten in den beiden Behandlungsformen grundlegend. In den Akutkliniken erhalten die älteren Patienten eine geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung, damit sie trotz der funktionellen Beeinträchtigung durch ihre akuten und chronischen Erkrankungen wieder nach Hause zurückkehren können. Oftmals ist im Anschluss an die geriatrische Frührehabilitation noch eine stationäre geriatrische Rehabilitation erforderlich, um dieses Behandlungsziel zu erreichen. In vielen Fällen könnten die älteren Patienten sogar ohne eine vorgeschaltete Frührehabilitation gar nicht in die stationäre Rehabilitation aufgenommen werden. Die Patienten in der Frührehabilitation sind in der Regel wesentlich stärker in ihrer Funktionalität beeinträchtigt als dies bei den Reha-Patienten der Fall ist. Zudem weisen sie therapiebedürftige Erkrankungen, die für ihre Behandlung ein Krankenhaus erfordern. Man sieht aus diesen Ausführungen, dass es sich um zwei sehr unterschiedliche Patientengruppen handelt, die man schlecht miteinander vergleichen kann.
Ältere Patienten müssen sich also keine Gedanken um eine erfolgreiche Krankenhaus-Versorgung machen?
Sich gegen eine geriatrische Krankenhausversorgung zu entscheiden, wäre fatal. Denn in Wirklichkeit ist es genau die Gruppe der hochbetagten, in ihrer Autonomie gefährdeten Patienten, für welche bei einer fachgerechten geriatrischen Versorgung die größten Behandlungserfolge zu erwarten hat. Die spezialisierte Altersmedizin, die Geriatrie, kann sehr viel zum Erhalt und zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen – sowohl durch die Frührehabilitation als auch bei der gängigen geriatrischen Reha. Darüber sind sich alle Experten längst einig. Natürlich muss jede Behandlung individuell auf den Patienten und seine spezielle Situation abgestimmt sein.
Dennoch scheint die erfolgversprechende Klinik-Reha nicht überall stark in Anspruch genommen zu werden. Wie erklären Sie sich die großen regionalen Unterschiede?
Die Zahl der geriatrischen Patienten, die eine geriatrische Frührehabilitation durchlaufen, unterscheidet sich in den einzelnen Bundesländern tatsächlich stark. Es sind 4,3 Prozent in Bayern gegenüber 24,3 Prozent in Hamburg. Die Bundesländer unterscheiden sich teilweise noch sehr stark in ihrem Angebot an geriatrischen Versorgungsstrukturen. Daraus resultieren in erster Linie die diesbezüglich unterschiedlichen Zahlen. Ein gewisser Trend zur Vereinheitlichung ist jedoch festzustellen.
Wäre nicht gerade jetzt eine Weiterentwicklung der Strukturen geriatrischer Versorgungstrukturen hilfreich?
Dafür setzen wir uns als Fachgesellschaft seit Jahren ein. Die Probleme der Kostensteigerung in der medizinischen Versorgung der älteren Patienten sind für uns greifbar. Die Konzepte für eine auf den Erhalt der Funktionalität des älteren Patienten gerichteten Behandlung bedürfen selbstverständlich der Weiterentwicklung. Ein besonderes Augenmerk muss zukünftig auch auf die Verbesserung der Zusammenarbeit der stationären und ambulanten Versorgung gerichtet werden. Ferner sollte verstärkt auf die Nachhaltigkeit der Ergebnisse der rehabilitativen Behandlung geachtet werden. Mit den aktuellen Kostenstrukturen können wir gegenwärtig arbeiten. Wir sind jedoch mit vielen Details nicht glücklich. Es gäbe bessere Lösungen, die den Besonderheiten des individuellen Behandlungsfalles besser gerecht würden.
Was werden Sie als nächstes machen, um genau diese Ziele zu erreichen?
Wir Geriater sind vorbereitet und immer zum Gespräch bereit. Ich würde es begrüßen, wenn sich alle Entscheider an einen Tisch setzen würden, um gemeinsam zukunftsweisende Lösungen zu erarbeiten. Dafür werbe ich in Gesprächen mit den Krankenkassen als auch mit Vertretern der Politik. Auf keinen Fall darf ein falsches Bild über die Arbeit und die Erfolge der Geriatrie entstehen. Wir stehen vor großen Herausforderungen, an deren Bewältigung uns allen gelegen sein muss. Nur durch die Zusammenarbeit aller für die Versorgung des älteren Patienten Verantwortlichen wird uns dies gelingen.
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