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DGG-Arbeitsgruppe kritisiert Empfehlungen zur Pneumokokken-Impfung
(25.04.2017) Aktuelle Impf-Empfehlungen für alte Patienten stehen in der Kritik: Die Arbeitsgruppe Impfen der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) sieht die neuen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) zur Pneumokokken-Impfung skeptisch. „Es wird nur ungenügend darauf eingegangen, dass das Immunsystem alter Patienten anders auf Impfungen reagiert, als bei jüngeren Patienten“, sagt Dr. Anja Kwetkat (Foto), Leiterin der DGG-Arbeitsgruppe und Chefärztin der Klinik für Geriatrie am Universitätsklinikum Jena. „Die Kenntnisse zur Immunseneszenz bei Hochaltrigen und Senioren mit Multimorbidität sollten in den Impfempfehlungen berücksichtigt werden.“ Die Mitglieder der DGG-Arbeitsgruppe Impfen setzen sich intensiv mit den STIKO-Empfehlungen zur Pneumokokken-Impfung auseinander, die im Deutschen Ärzteblatt erschienen sind. So hat die Arbeitsgruppe jetzt mit einem Leserbrief an die Autoren reagiert, den das Ärzteblatt in der Ausgabe vom 31. März veröffentlicht hat. Hier lesen Sie den kompletten Brief im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Kollege Falkenhorst,
Sehr geehrter Herr Kollege Leidel,
Sehr geehrter Herr Kollege Bogdan,
vielen Dank für die interessanten Einblicke in die Entscheidungswege zur Entwicklung der neuen Empfehlungen zur Pneumokkoken-Impfung der ständigen Impfkommission (STIKO) in Deutschland. In der plädieren Sie für den alleinigen Einsatz des 23-valenten Polysaccharidimpfstoffes PPV23 bei allen ab 60-Jährigen mit und ohne chronische Erkrankungen, sofern es Erkrankungen ohne Immundefizit sind. Sie empfehlen dort ausschließlich bei Personen mit angeborenen oder erworbenen Immundefekten sowie mit anatomischen und Fremdkörper-assoziierten Risiken für eine Pneumokokken-Meningits die Beibehaltung der sequenziellen Impfung mit zunächst dem 13-valenten Konjugatimpfstoff PCV13 gefolgt von PPV23 nach 6 bis 12 Monaten. In der Empfehlung für Patienten mit sonstigen chronischen Krankheiten sind explizit die Nieren- und Lebererkrankungen entfallen. Diese Erkrankungen finden nur Berücksichtigung, wenn sie ein offensichtliches Immundefizit begründen, also bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz und Zeichen der Urämie sowie Patienten mit fortgeschrittenen Stadien der chronischen Leberinsuffizienz. Diese Patienten werden jetzt der Risikogruppe 1 zugeordnet, da sie deutliche Veränderungen und funktionelle Beeinträchtigungen des Immunsystems aufweisen.
Nach Einschätzung der AG Impfen der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie e. V. (DGG) wird die Bedeutung der altersassoziierten Immunseneszenz und der damit einhergehenden reduzierten Immunantwort auf Impfungen in dieser Empfehlung nicht berücksichtigt. Die Gruppe der über 60-Jährigen wird als homogene und immunkompetente Gruppe betrachtet, ohne die altersassoziierte Zunahme der Immunseneszenz bei Senioren in Betracht zu ziehen, obwohl diese Veränderungen und ihre Auswirkungen auf die Immunantwort nach Impfungen hinlänglich bekannt, wenn auch nach wie vor nicht vollständig verstanden sind.
Demgegenüber wird die Immunkompetenz der 2- bis 15-Jährigen kritischer beurteilt, denn es heißt in der Empfehlung: „Bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 2 – 15 Jahren ist die Wirksamkeit von PPSV23 unklar. Daher empfiehlt die STIKO in dieser Altersgruppe auch für Patienten aus Risikogruppe 2 die sequenzielle Impfung mit PCV13 und PPSV23“ um den bestmöglichen Schutz zu erzielen. Die Mitglieder der AG Impfen sind der Ansicht, dass die Kenntnisse zur Immunseneszenz gerade bei Hochaltrigen und Senioren mit Frailty bzw. Multimorbidität in Impfempfehlungen berücksichtigt werden sollten.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gruppe der Hochaltrigen häufig von Multimorbidität betroffen ist. Da den einzelnen Erkrankungen jedoch keine immunsupprimierende Wirkung zugeschrieben wird, obwohl in Summe wohl doch von einer Immundefizienz auszugehen ist, werden die Betroffenen entsprechend der Empfehlung der Risikogruppe 2 zugerechnet und erhalten eine alleinige PPV23 Impfung. Der mögliche Zusammenhang von Multimorbidität und Immunseneszenz gerade auch in Hinsicht auf die B-Zellfunktion bleibt unberücksichtigt. Auch eine aktuelle Veröffentlichung aus dem Lancet Infectious Diseases unterstützt diese Einschätzung. Diese Arbeit zeigt eine unterschiedliche Wirksamkeit der PPV23 Impfung in der Gruppe der 65-Jährigen und Älteren und lässt einen Zusammenhang mit Komorbiditäten vermuten. Entsprechende Studien zur Sicherung dieses Zusammenhangs, aber auch gezielte Subgruppenanalysen für Hochaltrige, Multimorbide und Gebrechliche sollten künftig erfolgen.
Vor diesem Hintergrund würden die Mitglieder der AG Impfen der DGG eine Empfehlung zur sequentiellen Impfung für die Gruppe der Hochaltrigen und Multimorbiden in Analogie zum Vorgehen für die Gruppe der 2- bis 15-Jährigen mit chronischen Erkrankungen und unklarer Immunkompetenz begrüßen. Eine differenziertere Empfehlung für die Gruppe der Senioren erscheint hier angemessen. Möglicherweise ist dies so in Belgien erfolgt, wo explizite Empfehlungen für die Gruppe der ab 85-Jährigen und die 50- bzw. 60- bis 84-Jährigen mit und ohne chronische Erkrankungen ausgeben werden.
Korrespondierender Autor für die Arbeitsgruppe Impfen in der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie e.V. (DGG)
Dr. Anja Kwetkat
Leiterin der AG Impfen der DGG
Komm. Direktorin – Chefärztin
Klinik für Geriatrie – Universitätsklinikum Jena
Bachstraße 18
07743 Jena
Tel.: 03641 / 93 49 01
anja.kwetkat@med.uni-jena.de
Leserbrief ist erschienen in:
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 114 | Heft 13 | 31. März 2017
Dtsch Arztebl 2017; 114(13): A-644 / B-550 / C-536
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